Temperaturabhängige Schraubenkräfte sicher berechnen

Warum thermische Einflüsse bei Schraubenverbindungen oft unterschätzt werden – und wie Sie sie zuverlässig berücksichtigen

Einleitung

In vielen technischen Anwendungen wirken Schraubenverbindungen nicht nur mechanisch belastet, sondern sind zusätzlich Temperaturschwankungen ausgesetzt – etwa in Motoren, Industrieanlagen oder Hochtemperaturumgebungen. Was viele unterschätzen: Temperaturänderungen können die Vorspannkraft einer Schraube erheblich verändern – im schlimmsten Fall so weit, dass die Verbindung versagt.

In diesem Artikel erfahren Sie, wie Temperatur die Kräfte in einer Schraubenverbindung beeinflusst, worauf Sie in der Auslegung achten müssen und wie Sie Risiken minimieren.

 

Warum ist Temperatur bei Schraubenverbindungen kritisch?

1. Unterschiedliche Materialausdehnung
Schrauben und die verbundenen Bauteile (z. B. Flansche, Deckel, Gehäuse) bestehen oft aus unterschiedlichen Werkstoffen – etwa Stahl und Aluminium. Diese Materialien dehnen sich bei Temperaturänderungen unterschiedlich stark aus. Das kann dazu führen, dass sich im Kraftfluss die Schraube relativ „verkürzt“ oder das Klemmteil „verlängert“.

2. Veränderung der Vorspannkraft
Die Vorspannkraft – also die Kraft, mit der eine Schraube ihre Bauteile zusammenpresst – kann sich durch Temperaturänderungen deutlich verändern. Entscheidend ist der lineare Wärmeausdehnungskoeffizient (α) der verwendeten Materialien.

  • αₛ > αₚ → Vorspannkraft sinkt

  • αₛ < αₚ → Vorspannkraft steigt

  • Sind beide identisch oder Temperatur homogen, bleibt Fₓ nahezu konstant.

Mit steigender Temperatur sinkt ebenfalls auch der Elastizitätsmodul und die Streckfestigkeit – die Schraube „wird weicher“ und kann sich leichter dehnen.

 

Praxisbeispiel (vereinfacht erklärt)

Stellen Sie sich eine Schraube aus Stahl vor, die zwei Bauteile verbindet. Bei Erwärmung dehnt sich die Schraube stärker aus als das Bauteil. Dadurch entspannt sich die Verbindung, und die ursprünglich eingebrachte Vorspannkraft nimmt ab. Die Folge: Die Verbindung kann sich lösen – schlimmstenfalls mit Schäden am Bauteil oder Systemausfall.

 

Was muss in der Berechnung berücksichtigt werden?

Damit Schraubenverbindungen auch bei Temperaturschwankungen zuverlässig funktionieren, sollten folgende Punkte in die Auslegung einfließen:

  • Werkstoffe und ihre Wärmeausdehnung
    Unterschiedliche Materialien dehnen sich unterschiedlich stark aus.
  • Geometrie der Verbindung
    Insbesondere die Längenanteile der Schraube und der Klemmteile im Kraftfluss.
  • Temperaturbereich und Betriebszustand
    Welche Temperaturänderung ist zu erwarten – z. B. von Montage bei Raumtemperatur bis Betrieb bei 100 °C oder mehr?
  • Elastisches Verhalten der Schraube
    Wie stark kann sie die Längenänderung kompensieren, ohne sich übermäßig zu dehnen oder zu stauchen?

 

Empfehlungen für die Praxis

  1. Werkstoffe bewusst wählen
    Verwenden Sie möglichst Materialien mit ähnlicher Wärmeausdehnung, um Relativbewegungen gering zu halten.
  2. Montagetemperatur dokumentieren
    Die Differenz zwischen Montage- und Betriebstemperatur ist entscheidend für die spätere Klemmkraft.
  3. Temperatur in der Berechnung berücksichtigen
    Moderne Berechnungssoftware wie MDESIGN bolt kann temperaturbedingte Veränderungen automatisch erfassen – sowohl für Spannkraftverlust als auch für mögliche Überlastung.
  4. Kritische Verbindungen gesondert prüfen
    In sicherheitskritischen Anwendungen (z. B. Druckbehälter, Motoren, Antriebe) sollten Sie thermische Effekte besonders sorgfältig auslegen und dokumentieren.

 

Fazit

Temperaturabhängige Vorspannkraftveränderungen sind ein oft unterschätzter, aber technisch hochrelevanter Faktor bei Schraubenverbindungen. Sie können zu Lockerung, Undichtigkeiten oder sogar zum Versagen der Verbindung führen. Durch sorgfältige Auslegung, Materialauswahl und den Einsatz geeigneter Software lassen sich diese Risiken jedoch sicher beherrschen.